Sonntag, 4. September 2011

familja ime në Prisren


Hallo ihr Lieben,

nachdem nun seit circa vier Wochen keine weiteren geistigen Ergüsse folgten hier eine Auffrischung eures Wissensstandes über die 3 Wochen, die ich in einem Taubenschlag verbracht habe, welcher sich Gastfamilie nannte...
Viel Spaß!
Sarah

Ach, der Rest der Familie ist noch im Urlaub?

Okay, in einer Stunde fahren wir nach Prizren, wo ich mich mit meinem Sprachlehrer und meiner Gastfamilie treffen soll. Es gibt nur ein -kaum ins Gewicht fallendes- Problem: Weder meine Gastfamilie noch mein Lehrer sind erreichbar. Na ja, dann fahren wir eben einfach mal los und gehen erst mal... einen Kaffee trinken, wie immer.
Drei Stunden später sitze ich mit Adnan, dem Fahrer, und seinen zwei Nichten aus München in einem Café in Prizren und mein Handy klingelt. Allem Anschein nach versucht mein Lehrer gerade mit Freunden irgendeinen Berg zu bezwingen und musste erst mal wieder Handyempfang bekommen, bevor er mich anrufen konnte. Wir bekommen die Handynummer einer meiner Gastschwestern und treffen uns mit ihr am Kastrati, einem Supermarkt etwas außerhalb von Prizren, von wo aus wir zum Haus fahren. Ich lade mein Gepäck aus dem Auto und erfahre gleich mal, dass außer ihr niemand von der Familie da ist. Der Rest kommt erst spät in der Nacht aus dem Strandurlaub in Albanien zurück.

Ähm, wie heißt du nochmal?

Als dann schließlich das Haus mit Familie gefüllt war (ein Gastbruder, 12, meine Gastschwestern, 21 und 23, eine davon mit 2-jährigem Sohn und Mann, und meine Gasteltern), konnte der tägliche Wahnsinn losgehen. An die Lautstärke der Familie gewöhnte ich mich recht schnell, trotzdem kam ich mir die gesamte Zeit ein bisschen vor wie in einem Taubenschlag, denn die ständig ein- und ausgehenden Verwandten erschienen äußerst zahlreich und immer mit dem neuesten Klatsch und Tratsch aus der Nachbarschaft. Auch die Namen, wie Taulant, Afrodite, Sarandes, Abulena oder Bajrush, weigerten sich die ersten Tage beständig, sich einen festen Platz in meinem Gehirn zu suchen. Doch an Tag drei hatte sich so langsam alles eingespielt.

Was machen wir denn heute so? / Wiiiiieee, du trinkst keinen Kaffee?

Von Montag bis Freitag war der einzig feste Termin mein Sprachunterricht, der 1,5 bis 2 Stunden in Anspruch nahm. Doch irgendwie musste man ja auch die Stunden drumherum füllen und so gingen wir zahlreiche Kaffees trinken -wobei meine Gastfamilie hart daran zu knabbern hatte, dass ich keinerlei Kaffee mag-, aßen Eis, liefen durch die Stadt oder versuchten in der Kühle des Hauses den 40 Grad draußen zu entkommen. Natürlich musste „die Deutsche“ auch bei den Nachbarn und den Verwandten, die noch nicht zu Besuch vorbeigeschaut hatten (was immer noch erstaunlich viele waren), einen bleibenden Eindruck hinterlassen. So wurde ich munter herumgereicht und konnte sogar eine Nacht im Haus einer Tante verbringen, wobei das Plumpsklo mich dann doch irgendwie wieder an das ein oder andere Erlebnis auf meinem Indienaustausch erinnerte.  Ansonsten folgte das tägliche Zusammenleben ungeschriebenen Gesetzen, so bestand nahezu jedes Essen aus speca (Paprika) und buka (Brot) und wenn sich meine Familie mal gegenseitig an schrie, hatte das noch lange nichts mit einem Streit zu tun, sondern war häufig nur der normale Umgangston bei Aussagen wie „Es gibt bald Essen!“.

Po, po! Heide, heide, Sarah!

Während ich in der Familie mit meiner einen Schwester Deutsch, mit meinem Bruder und Schwager Englisch und mit meinem Vater Französisch sprach, versuchte ich nebenbei noch eine Sprache zu erlernen, die offensichtlich von einem Wahnsinnigen erfunden wurde. Gleich in der ersten Unterrichtsstunde wurde mir die frohe Botschaft mitgeteilt, dass das Albanische so viele verschiedene Kategorien zur Konjugation von Verben hat, dass man quasi direkt alle Verben als unregelmäßig betrachten und alle Konjugationen auswendig lernen kann. Dass die Nomen den Artikel in ihrer Endung tragen und sich eine Vielzahl somit in den unterschiedlichen Fällen deutlich verändert bzw. die Pluralbildung offensichtlich gar keinen Regeln folgt, trug auch nicht gerade zum Anheben meiner Stimmung bei und so war ich gegen Ende der zweiten Woche recht sicher, niemals Albanisch sprechen zu können. Jedoch war meine Familie immer vorbildlich dahinter, mich zum Lernen zu zwingen und so wurden mir ständig neue Worte beigebracht, oder ich durfte mich abends auf dem Balkon mit meiner Schwester bei Lernspielen vergnügen. Doch auch die kosovo-albanische Kultur kam nicht zu kurz: Bei häufigen Tanzstunden wurden mir traditionelle Tanzschritte beigebracht und auch wenn ich dabei immer ein wenig doof anstellte, verlor meine Familie nie die Geduld.
kalaja, marash und Lumëbardhi
Da ich in einer Familie in Prizren lebte, hatte ich auch die Chance das Kosovo außerhalb des doch sehr beschaulichen Rahovec/Orahovac zu begutachten, wo ich nun lebe. So konnte ich den traumhaften Ausblick von der kalaja (Burg) über das nächtliche Prizren genießen und im wunderbar grünen Park namens marash entspannen oder am leider etwas wasserarmen Lumëbardhi (der große Fluss, der durch Prizren fließt) entlang spazieren. Auch weitere Sehenswürdigkeiten der Stadt wurden mir gezeigt, wobei ich im Zentrum auch so einige Fallen zu überwinden hatte. So gibt es eine osmanische Steinbrücke auf der ein wie ein Fuß geformter Stein zu finden ist, wer auch immer auf diesen Stein tritt muss in Prizren heiraten - zur Beruhigung meiner ehemals Erziehungsberechtigten: Ich bin nicht darauf getreten.
Allerdings gibt es auch den Spruch, dass man, sobald man Wasser aus einem bestimmten  Brunnen im Zentrum trinkt, ebenfalls in Prizren heiraten muss. Und nachdem jedes Café und Restaurant das Wasser aus diesem Brunnen benutzt, kam ich leider nicht umhin, dieses Wasser zu konsumieren. Es tut mir Leid, Mama, es tut mir Leid, Papa, aber ich werde wohl anscheinend in Prizren heiraten!

Der Abschied

Der letzte Tag kam dann allerdings irgendwie doch schneller, als geplant und so folgte schon wieder ein Abschied. Seit 8 Tagen wohne ich nun  übergangsweise im Gästezimmer des Jugendzentrums und bin dementsprechend abends oder sonntags in einem großen Haus ganz allein - ehrlich gesagt hab ich genau das erst mal in vollen Zügen genossen. Kein Trubel, einfach mal Ruhe, Zeit für mich, abwechslungsreiches Essen und keine rund-um-die-Uhr-Beobachtung. Doch nach der ersten Woche fehlt mir das Taubenschlag-Feeling doch irgendwie. Und Vokabeln lernen sollte ich eh schon längst mal wieder tun!